Hier informieren wir Sie über den Umgang mit Fällen der Arbeitsunfähigkeit (AU) und gesundheitlicher Beeinträchtigungen vor und im Arbeitsverhältnis:

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Rechtslage vor Zustandekommen des Arbeitsvertrags

Stellenausschreibung

Hier steht aus Arbeitgebersicht die Vermeidung von Vorwürfen der Diskriminierung im Vordergrund. Falls erforderlich hat der Betriebsrat hier mitzubestimmen. Anforderungen an die Belastbarkeit sollten nicht pauschal umschrieben werden, sondern durch Beschreibung der abverlangten Tätigkeiten.

„Flexibel und Belastbar“ ging nach LAG Nürnberg (NZA 2009, 148) gerade noch durch. Ob diese Entscheidung heute noch gültige Maßstäbe setzt, ist zweifelhaft.

 

Bewerbungsverfahren / -gespräch

Eingeschränkte Fragerechte des Arbeitgebers: Diese gehen nur so weit, als die gesundheitliche Verfassung ein schutzwürdiges Interesse im Hinblick auf die Begründung des konkreten Arbeitsverhältnisses hat (tätigkeitsbezogene Fragen). Es besteht keine allgemeine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers; Ausnahmen gelten bei Gefahren für Kunden / Kollegen (z.B. bei ansteckenden Krankheiten).

Solange sie die Anforderungen an den Arbeitsplatz erfüllen können, brauchen behinderte Bewerber (Grad der Behinderung unter 50) schwerbehinderter Bewerber (Grad der Behinderung mindestens 50) nicht von sich aus auf ihre Behinderung hinweisen.

Mitwirkung durch Schwerbehindertenvertretung

Eine Schwerbehindertenvertretung hat ggf. Teilnahmerechte am Bewerbungsverfahren und am Bewerbungsgespräch.

Arbeitsunfähigkeit im laufenden Arbeitsverhältnis (EFZG)

Hat das Arbeitsverhältnis begonnen und mindestens 4 Wochen ununterbrochen gedauert (§ 3 Abs. 3 EFZG), erhält der Arbeitnehmer nach den Regelungen des EFZG Lohnfortzahlung für maximal 6 Wochen und anschließend ggf. von seiner Krankenkasse Krankengeld.

Mindestbedingungen werden festgelegt im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Dieses gilt nur für Arbeitnehmer (Entgeltfortzahlung also ein wichtiges Kriterium bei Abgrenzung Scheinselbständigkeit)

Arbeitnehmerpflichten während der Arbeitsunfähigkeit (Anzeige und Nachweis)
Wichtig:
  • Anzeigepflicht
  • Nachweispflicht
  • Dauer: 6 Wochen = 42 Kalendertage
  • Unterscheidung zwischen Wiederholungserkrankungen und Fortsetzungserkrankungen.
  • Berechnung: Lohnausfallprinzip

Den Arbeitnehmer treffen hierzu zwei Pflichten: Anzeigepflicht und Nachweispflicht

Vorsicht: Bei Verstößen sollte in einer Abmahnung zur Vorbereitung einer verhaltensbedingten Kündigung genau differenziert werden, ob gegen eine (wenn ja welche) oder beide Pflichten verstoßen wurde !

Anzeigepflicht:

Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer anzeigen, und zwar

  • auch nach Ende des 6wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums
  • formfrei (telefonisch oder durch Boten reicht, aber Arbeitnehmer beweispflichtig für Erfüllung)
  • beim zuständigen Adressaten (also z.B. Personalabteilung, Pförtner oder Arbeitskollege nur bei Betriebsüblichkeit)
  • unverzüglich (d.h ohne schuldhaftes Zögern: am ersten Krankheitstag schon während der ersten üblichen Betriebsstunden
  • mit eigener Prognose voraussichtlicher Dauer
  • Art und Ursache der Erkrankung müssen grundsätzlich nicht mitgeteilt werden; Ausnahme: Schutz anderer Mitarbeiter bei ansteckenden Krankheiten; Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Arbeitgebers gegen Dritte oder zur Feststellung einer Fortsetzungserkrankung
Nachweispflicht:

Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsunfähigkeit nachweisen, und zwar regelmäßig durch Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung), der eine ärztliche Untersuchung vorausgehen und die enthalten muss:

  • Beginn der Erkrankung (Rückdatierung ausnahmsweise max. 2 Tage zulässig)
  • Voraussichtliche Dauer der Erkrankung
  • Ersterkrankung oder Folgeerkrankung
  • Nicht: Art des Befundes (dies wird jedoch der Krankenkasse mitgeteilt)

Seit 01.01.2016 sind AU-Bescheinigungen auch dann auszustellen, wenn der 6-Wochen-Zeitraum schon abgelaufen ist; dafür gibt es entsprechend neue Formulare.

Beweiswert der AU-Bescheinigung

Der ärztlichen AU-Bescheinigung kommt nach der Rechtsprechung ein hoher Beweiswert zu. Sie kann aber erschüttert werden, wenn der Arbeitgeber Umstände darlegt und beweist, dass die Bescheinigung unrichtig ist (z.B. bei „angekündigter“ Erkrankung oder Aktivitäten, die mit der angeblichen Arbeitsunfähigkeit unvereinbar sind, oder Verweigerung der vom AG zu beantragenden Untersuchung beim Medizinischen Dienst der Krankenkasse, § 275 SGB V). Dann dreht sich die Beweislast zu Lasten des Arbeitnehmers um.

Die Bescheinigung muss nur vorgelegt werden bei Erkrankungen, die länger als 3 Tage dauern. Dann muss sie aber „unverzüglich“ vorgelegt werden. Es gibt keine gesetzlich festgelegte Vorlagefrist (häufiger Irrtum von Arbeitnehmern, der ggf. zu Abmahnung / Kündigung führen kann). Legt der Arbeitsvertrag eine Vorlagefrist von 3 Tagen fest, gilt diese zugunsten des Arbeitnehmers. Der Arbeitsvertrag kann aber auch eine kürzere Vorlagefrist für die AU-Bescheinigung verlangen (z.B. noch am ersten Tag).

Rechte des Arbeitgebers:

Bei Verletzung von Anzeige- / Nachweispflichten stehen dem AG folgende Rechte zu

  • Vorläufiger Einbehalt des Lohns für die fragliche Zeit (jedoch nur Leistungsverweigerung bis zur nachträglichen Erfüllung)
  • Abmahnung und im Wiederholungsfall: verhaltensbedingte ordentliche / außerordentliche Kündigung

Weitere Infos zur Rechtslage bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (AU)

Im Laufenden Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Teilnahme am Personalgespräch.

Anders aber bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit: Durch die AU sind alle Arbeitnehmerpflichten suspendiert, also auch die zum Erscheinen zum Personalgespräch (LAG Nürnberg, Urt. v. 01.09.2015 – Az 7 Sa 592/14. Nur ganz ausnahmsweise, wenn ein dringender unaufschiebbarer Gesprächsbedarf besteht, kann der Arbeitnehmer zum Personalgespräch auch bei Arbeitsunfähigkeit einbestellt werden. Aufgrund der noch bestehenden Grauzone in der Rechtsprechung dazu, was dringend und unaufschiebbar ist, sollte zur Vermeidung von Risiken sehr vorsichtig bei Abmahnung und Kündigung vorgegangen werden, wenn der Arbeitnehmer sich weigert, an dem Personalgespräch teilzunehmen.

Hat der Arbeitgeber ein BEM (bzw. ein Präventionsverfahren nach § 84 SGB IX bei Schwerbehinderten) pflichtwidrig nicht oder nicht richtig durchgeführt, ergeben sich daraus erhebliche Risiken bei späterer Kündigung.

Hat der Arbeitgeber das BEM richtig durchgeführt bzw. der Arbeitnehmer die Durchführung abgelehnt, kann er sich im Prozess leichter darauf berufen, dass er dem Arbeitnehmer keinen seiner Krankheit / Schwerbehinderung entsprechenden (sogenannten leidensgerechten) Arbeitsplatz anbieten konnte.

Erforderlich ist eine negative Gesundheitsprognose: Regelmäßig erkennt die Rechtsprechung diese nicht an, wenn im Schnitt der letzten 3 Jahre vor der Kündigung jeweils 6 Wochen pro Jahr nicht erreicht werden bzw. eine Tendenz zum Besseren erkennbar ist.

Der Arbeitnehmer kann die Prognose allerdings widerlegen, wenn z.B. dargelegt werden kann, dass bestimmte laufende oder bevorstehende Therapien eine nachhaltige Verbesserung seiner Gesundheit erbringen werden. Dazu wird der Arbeitnehmer regelmäßig seine Ärzte von der Schweigepflicht entbinden müssen. Auch können einmalige Ereignisse, wie z.B. Unfälle mit Arbeitsunfähigkeit, regelmäßig keine Negativprognose begründen.

Die betrieblichen Belange sind bei in mehreren Jahren wiederholter Erntgeltfortzahlung von mehr als 6 Wochen regelmäßig ausreichend beeinträchtigt.

Es folgt dann noch eine Interessenabwägung, wobei z.B. neben den allgemeinen Sozialkriterien (Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen, Schwerbehinderungen) sowie langjährig störungsfreie Zeiten und etwa betrieblich veranlasste Krankheitsursachen (Berufskrankheit, Arbeitsunfall) eine Rolle spielen.

Erforderlich ist auch hier eine negative Gesundheitsprognose:

Die Rechtsprechung sieht üblicherweise eine unabsehbare Rückkehr dann als gegeben an, wenn mit einer Rückkehr innerhalb der nächsten 24 Monate (gerechnet ab Ablauf der Kündigungsfrist) nicht gerechnet werden kann. Dann ist auch eine hinreichende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen gegeben, da in Zeitspannen unterhalb 24 Monaten in der Regel Ersatzkräfte beschäftigt werden können.

Der Arbeitnehmer kann diese Prognose durch eigenen Vortrag und Beweisantritt entkräften.

Der Arbeitgeber bringt sich dabei in besondere Schwierigkeiten, wenn ein gebotenes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nicht oder nicht richtig durchgeführt wurde.

Wiederholungserkrankungen:

Die AU beruht auf verschiedenen Erkrankungen bzw. Verschiedenen Ursachen.

Folge: Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht jeweils neu

Jedoch nicht, wenn der AN während eines noch laufenden Zeitraums der Entgeltfortzahlung erneut erkrankt, dann läuft die schon begonnene 6-Wochen-Frist ohne Verlängerung weiter

Beispiel 1: Der AN ist insgesamt 6 Wochen wegen einem Armbruch krankgeschrieben. In der letzten Woche vor Ende der 6 Wochen bekommt er eine schwere Erkältung, die weitere 2 Wochen Arbeitsunfähigkeit auslöst: Der AN bekommt vom AG für 6 Wochen Entgeltfortzahlung und von der Krankenkasse 1 Woche (reduziertes) Krankengeld

Beispiel 2: Der AN ist insgesamt 6 Wochen wegen einem Armbruch krankgeschrieben. Er arbeitet danach 1 Tag und bekommt er eine schwere Erkältung, die weitere 2 Wochen Arbeitsunfähigkeit auslöst: Der AN bekommt vom AG für 6 Wochen Entgeltfortzahlung, 1 Tag Arbeitslohn und danach nochmals 2 Wochen Entgeltfortzahlung

Fortsetzungserkrankungen:

Die AU tritt mehrfach auf und beruht aber auf derselben Grunderkrankung bzw. derselben Ursache.

Folge: Der AN bekommt innerhalb von 12 Monaten bei Fortsetzungserkrankungen nicht länger als 6 Wochen Entgeltfortzahlung

Beispiel: Der AN hat ein Rückenleiden und ist im Jahr 4 Mal jeweils 2 Wochen arbeitsunfähig krank: Er bekommt für die ersten 6 Wochen Entgeltfortzahlung und für die letzte Erkrankung (reduziertes) Krankengeld von der Krankenkasse.

Berechnung:

Lohnausfallprinzip: Es wird der im AU-Zeitraum mit der betriebsüblichen Arbeitszeit angefallene Lohn ersetzt (insbesondere: keine Mehrarbeit; bei Schichtarbeit die Zeit, in der der AN nach Schichtplan gearbeitet hätte).

Ermittlung:

Monatliches Bruttogehalt :

Anzahl Arbeitstage im Monat = Lohn pro Tag x Anzahl Krankheitstage ergibt Entgeltfortzahlung

Dauer: 6 Wochen = 42 Kalendertage

Erkrankt der AN im Urlaub, lässt die Zeit der Erkrankung die Urlaubsgewährung entfallen.

Achtung neue Rechtsprechung:

Kann der AN den Urlaub unverschuldet z.B. wegen Krankheit nicht nehmen, verfällt der gesetzliche Mindesturlaub nicht mehr (wohl aber freiwillig gewährter Urlaub). Bei lang andauernder Erkrankung können sich so erhebliche Urlaubs- bzw. Abgeltungsansprüche ergeben !