Wenn der Mitarbeiter eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, kommt man als Arbeitgeber daran kaum vorbei. In dieser Pauschalität ist das allerdings nicht richtig. Denn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung oder bis vor kurzem noch „gelber Schein“) trägt nach der Rechtsprechung zwar einen hohen Beweiswert in sich. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie im Inland oder im EU-Ausland erstellt wurde. Damit ist aber in so manchem Fall die Messe noch nicht gelesen. Denn der Arbeitgeber hat durchaus Möglichkeiten, den Beweiswert der neuerdings elektronisch über die Krankenkasse abzurufenden Bescheinigung zu entkräften.
So auch im Fall des LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 02.05.2023, Az. 2 Sa 203/22):
Hier kündigte die Arbeitnehmerin und spätere Klägerin selbst. Die Kündigung wurde am 04.05.2022 geschrieben. Ab dem Folgetag war sie laut verschiedenen Erst- und Folgebescheinigungen durchgängig bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – 15.06.2022 – krankgeschrieben. Weil die Bescheinigungen „passgenau“ auf den Ablauf der zur Kündigungsfrist zugeschnitten erschienen, bestritt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und zahlte keine Entgeltfortzahlung.
Die Klage der Arbeitnehmerin nur in erster Instanz Erfolg, nicht aber in der Berufung beim LAG.
Das LAG sah aufgrund des Texts der Kündigung und der dazu passenden Krankschreibung den Beweiswert der Bescheinigung als ausreichend erschüttert an. Durch derartige Umstände hatte der Arbeitgeber ausreichend tatsächliche Umstände geschildert, die die Bescheinigung als unrichtig vermuten ließen. Dann wiederum fällt der Beweiswert der Bescheinigung weg. In der Folge muss dann wieder die Arbeitnehmerseite beweisen, dass doch Arbeitsunfähigkeit vorlag. Diesen Beweis habe die Klägerin nicht erbracht. Auch der als Zeuge einvernommene Arzt habe dazu nicht ausreichend Substantielles vorgebracht.
Daraus folgt: Nicht jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung läuft unbeanstandet durch.
Ausreichende Umstände zur Erschütterung des Beweiswerts können sein:
– zeitlich passende Übereinstimmung von Krankschreibung und Kündigungsfrist (jedenfalls bei Eigenkündigung, womöglich auch bei „Reaktion“ auf Arbeitgeberkündigung)
– an die Krankschreibung unmittelbar anschließendes neues Arbeitsverhältnis (zeitlich passende Wiedergenesung)
– Inhalt des Kündigungsschreibens, wenn z.B. daraus hervorgeht, dass der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr wiederkommen wird, obwohl das so noch gar nicht absehbar sein kann
Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls:
Wenn z.B. die Reaktion auf die Arbeitgeberkündigung mit kündigungsbedingten psychischen Problemen erklärbar ist, wird der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit auch dann plausibel machen können, wenn eine zeitliche Übereinstimmung besteht. Gleiches gilt für Mobbing-Situationen: Wenn das Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit Mobbing endet, dürfte erklärbar sein, warum es dem Arbeitnehmer unmittelbar mit Ende des Vertragsverhältnisses dann wieder besser geht. Nicht allein ausreichend ist, wenn der Arbeitnehmer mit Krankmeldung den Arbeitsplatz aufräumt oder Schlüssel zurück lässt. Denn diese Handlungen lassen nicht zwingend den Schluss zu, dass der Arbeitnehmer entschlossen war, sowieso nicht wiederzukommen.