Arbeitszeiterfassung ist Pflicht. Nach dieser Nachricht ging in der bundesdeutschen Arbeitswelt ein Raunen durch die Personalabteilungen, die hierzu noch nichts einführt haben.

Das BAG hat in der als „Paukenschlag“ bezeichneten Entscheidung eine Pflicht des Arbeitgebers gesehen, die Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer manipulationssicher zu erfassen. Er muss nicht nur ein System zur Erfassung vorhalten, er muss es auch benutzen.

Die Verpflichtung kommt nicht ganz überraschend: Sie folgt aus der schon seit 2003 gültigen EU-Arbeitszeitrichtlinie. Diese sieht vor, dass jeder Arbeitnehmer innerhalb eines 24Stunden-Tages eine Mindestruhezeit von 11 Stunden hat und die Wochenarbeitszeit – einschließlich Überstunden – 48 Stunden nicht übersteigt.

Der Europäische Gerichtshof hat am 14. Mai 2019 entschieden, dass aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Arbeitgeber ein Arbeitszeiterfassungsystem einführen muss. Ansonsten würde der Regelungsgehalt der Richtlinie nicht sicher umgesetzt. Danach war noch gut zwei Jahre unklar, ob der deutsche Gesetzgeber die EU-Richtlinie und das EuGH-Urteil noch durch ein Bundesgesetz umsetzen muss oder ob es bereits durch Bundesgesetz umgesetzt worden ist.

Anhand eines Rechtsstreits eines Betriebsrats, der elektronische Zeiterfassung eingeführt haben wollte, ging die Frage nun hoch bis zum Bundesarbeitsgericht. Das BAG jedenfalls aus dem Arbeitsschutzgesetz (genauer: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG), dass es bereits eine bundesgesetzliche Rahmenregelung gibt, die eine Arbeitgeberpflicht zur Arbeitszeiterfassung ergibt.

Daraus leitet das BAG auch ein Initiativrecht des Betriebsrats ab, generell Arbeitszeiterfassungssysteme (ob elektronisch oder nicht) im Wege der Mitbestimmung einzuführen. Die Pflicht gilt für alle Arbeitnehmer. Das BAG deutet allerdings Ausnahmen an, nämlich insbesondere für sogenannte leitende Angestellte.

Gesetzliche Konkretisierung zur Arbeitszeiterfassung ist zu erwarten

Die betriebliche Mitbestimmung geht auch nur so weit, wie der Gesetzgeber nicht selbst konkrete Vorgaben macht, wie die Erfassung zu erfolgen hat. Das BAG lädt nach Auffassung des Heppenheimer Fachanwalts für Arbeitsrecht Alexander Dietrich durch das Urteil in den Gründen geradezu dazu ein, dass der Gesetzgeber die bisherige Rahmenregelung konkretisiert. Hierzu geht derzeit die Gerüchteküche:

  • Wird der Gesetzgeber auch besondere berufsspezifische Ausnahmen machen ? Man denke an Spezialisten im Forschungs- oder IT oder auch Rechtsbereich, die länderübergreifend mit überdurchschnittlicher Bezahlung arbeiten.
  • Wird der Gesetzgeber Kleinbetriebe privilegieren ? Ähnlich wie im Kündigungsschutzgesetz, das erst ab mehr als 10 Mitarbeitern greift, könnten so zum Beispiel kleinere Handwerksbetriebe von einer Pflicht zur elektronischen Erfassung ausgenommen werden.

Aber das ist alles offen.

 

Was sind derzeit die Folgen fehlender Arbeitszeiterfassung ?

„Zum Glück“ für Arbeitgeber hängt das BAG die Pflicht nicht am Arbeitszeit- sondern am Arbeitsschutzgesetz auf. Somit gibt es wohl derzeit – noch – kein Bußgeld, wenn ein Verstoß vorliegt, jedenfalls dann nicht, wenn keine branchenspezifischen Besonderheiten vorliegen.

Zwar soll die Erfassungspflicht an der Darlegungslast des Arbeitnehmers nichts ändern. Der Arbeitnehmer muss das Anfallen von Überstunden beweisen, und auch, dass sie angeordnet oder wenigstens geduldet waren. Aber: Wie kommt der Arbeitgeber künftig gegen Überstundenklagen seiner Mitarbeiter an, wenn er selbst nicht genau weiß, wann gearbeitet wurde und wann nicht ? Wenn der Arbeitnehmer hier ausreichend vorträgt, schlägt das Pendel dann nämlich um.

Nach dem BAG-Urteil ist auch die sogenannte Vertrauensarbeitszeit nicht „tot“, wie behauptet wird. Nach wie vor kann man dem Arbeitnehmer mit einer ausdrücklichen Vereinbarung das Maß seiner Arbeit überlassen. Nur die Aufzeichnung, wie viel gearbeitet wurde, darf eben nicht mehr unterbleiben.

Das wird dazu führen, dass künftig nicht mehr massenhaft Überstunden einfach unbezahlt unter den Tisch fallen.

 

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