BAG hält an bisheriger Rechtsprechung zur Lohnfindung bei Sittenwidrigkeit des Mindestlohns fest

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer in NJW Heft 16/2016 veröffentlichten Entscheidung (Az.: 5 AZR 814/14) seine Grundsätze gefestigter Rechtsprechung nochmals bestätigt und klargestellt, dass es in vielen Fällen nicht ausreichend sein kann, nur gesetzliche bzw. tarifliche Vorschriften zum Mindestlohn einzuhalten.

Das BAG bekräftigt, dass ein Mindestlohn lediglich das Minimum der Vergütung bezeichnet, aber nicht die übliche Vergütung dieser Arbeit berücksichtigt. Doch gerade darauf zielt nach Auffassung des BAG die Prüfung der Sittenwidrigkeit ab, die das Gericht in der Entscheidung geradezu schulmäßig vornimmt.

Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der Lohnvereinbarung liegt bei einem auffälligen Missverhältnis des Werts von Leistung und Gegenleistung vor.

Das auffällige Missverhältnis bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Das Missverhältnis ist auffällig, wenn es einem Kundigen, ggf. nach Aufklärung des Sachverhalts, ohne weiteres ins Auge springt.

Das BAG stellt seit der Entscheidung vom 19. August 2015 – 5 AZR 500/14 – eine widerlegbare Vermutung für ein auffälliges Missverhältnis auf, wenn die Vergütung mehr als ein Drittel unter dem in der Wirtschaftsregion üblichen Niveau liegt. Bereits mit früheren Entscheidungen (Urt. vom 16. Mai 2012 – 5 AZR 268/11 und BAGE 141, 348 – hatte das BAG festgelegt, dass von der Üblichkeit der Tarifvergütung ohne weiteres ausgegangen werden kann, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen.

In dem zu entscheidenden Fall war eine Busbegleiterin für Bustransporte von Menschen mit Behinderung mit einer Vergütung von 15,00 € pro Fahrt eingestellt worden. Leerfahrten und Wartezeiten sollten mit abgegolten sein.

Diese Abgeltung akzeptierte das BAG nicht:

Wartezeit gilt als Arbeitszeit

Arbeit als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist dabei nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Arbeit in diesem Sinn ist auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause noch Freizeit hat (BAG 20. April 2011 – 5 AZR 200/10 – Rn. 21, BAGE 137, 366).

Arbeit als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist dabei nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Arbeit in diesem Sinn ist auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause noch Freizeit hat (BAG 20. April 2011 – 5 AZR 200/10 – Rn. 21, BAGE 137, 366).

Daher entstand mit Leerfahrten arbeitstäglich eine Arbeitszeit von 4,42 Stunden, und mit der Pauschalabrechnung eine sittenwidrig zu niedrige Vergütung.

Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit: Anhebung der Vergütung über den Mindestlohn hinaus

Als Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit entsteht die Ungültigkeit der Vergütungsvereinbarung, an deren Stelle ein Anspruch auf die übliche Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB tritt (BAG 26. April 2006 – 5 AZR 549/05 – Rn. 26, BAGE 118, 66) und zwar unter Zugrundelegung des tariflichen Stundenlohns ohne Zuschläge, Zulagen und Sonderleistungen (BAG 22. April 2009 – 5 AZR 436/08 – Rn. 18, BAGE 130, 338).

Das Landesarbeitsgericht hatte zutreffend für täglich 4,42 Stunden eine Vergütung von 43,14 Euro brutto pro Arbeits-/Feiertag (Stundenlohn von 9,76 €, also deutlich mehr als der heute gültige gesetzliche Mindestlohn) errechnet.

Diese Vergütung sprach das BAG der Mitarbeiterin zu.

Diese hätte sich in den Schulferien noch mehr Vergütungsanspruch erhalten können, wenn sie gegen die Nichtbeschäftigung ausdrücklich protestiert und ihre Arbeitsleistung tatsächlich oder wenigstens wörtlich angeboten hätte (vgl. BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 886/12 – Rn. 42).

Aber auch so erhielt sie noch über 3.700 € nachgezahlt.

Kommentare sind deaktiviert.